Die schwerste humanitäre Krise seit dem 2. Weltkrieg

Posted by: hannes urban Tags: There is no tags | Categories: Diverse Artikel Südsudan

Mai
25

Während die Blicke der Welt auf die Krisenherde im nahen Osten gelenkt werden, spielt sich in weiten Teilen Afrikas nahezu unbemerkt eine humanitäre Katastrophe ungleich größeren Ausmaßes ab. Vor allem im Südsudan, aber auch in Somalia, Nigeria und Yemen sind rund 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht.

Die UNO würden bis Mitte dieses Jahres 4,4 Milliarden Dollar benötigen, um das Schlimmste zu verhindern. Doch die Weltgemeinschaft reagiert kaum bis zögerlich. Das völlige politische Desinteresse an Vertreibung, Leid und Tot von Millionen Menschen und dem Zerfall ganzer Staaten bleibt aber nicht folgenlos für Europa.

Die Geberkonferenz in Berlin wird zeigen, ob sich Europa selbst den Nährboden für neue Flüchtlingswellen schafft oder sich endlich seiner Verantwortung bewusst wird. (ein Beridcht von Robert Manoutschehri)

Südsudan – Geburt und Verfall eines Staates im Zeitraffer

Im Südsudan tobt sich die blinde Gewalt und Gegengewalt der Machthaber und ihrer Gegner auf dem Rücken einer völlig schuldlosen Bevölkerung aus. Zumeist sowieso nur mittelalterliche Infrastrukturen lösen sich zunehmend auf. Perspektivenlosigkeit, Armut und Hunger werden jetzt noch durch die Furcht vor Willkür und Gewalttaten übertroffen.

Ein ganzes Land befindet sich auf der Flucht.

 

Die kurze Geschichte des jüngsten Landes der Welt

Gegründet wurde der Südsudan im Jahr 2011, nachdem seit den frühen 1980er-Jahren hauptsächlich Christliche Rebellengruppen für die Abtrennung vom vornehmlich Moslemischen Norden, dem heutigen Sudan, gekämpft haben. Reiche Ölfelder und Streit um deren Ausbeutung im neu gezogenen Grenzgebiet führten anfänglich aber immer wieder zu heftigen kriegerischen Konflikten zwischen den Ländern.

Ende 2013 brach dann infolge eines Machtkampfes zwischen Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar ein bis heute andauernder Bürgerkrieg aus. Denn Kiir gehört der Volksgruppe der Dinka an, welche die Mehrheit der Bevölkerung bilden, und Machar ist Angehöriger der Nuer. Aus einem politischen Machtkampf wurde somit ein Krieg zwischen Volksgruppen, der das ganze Land entzweite. Mittlerweile gibt es aber nicht nur diese beiden Parteien, bzw. die Kiir-treuen Regierungstruppen und die Rebellen, sondern rund 40 Milizen, die sich zum einen oder anderen Lager bekennen oder überhaupt nur für sich alleine kämpfen. Im August 2015 unterzeichneten die Kriegsparteien zwar ein Friedensabkommen, dennoch folgten weitere zahlreiche Kriegsverbrechen, als Soldaten auf „Rebellenjagd“ Menschen willkürlich ermordeten, Frauen entführten und vergewaltigten, Felder, Dörfer, Häuser mitsamt Kindern und alten Menschen bei lebendigem Leib verbrannten.

Die politische Situation im Südsudan

Nach dem letzen Aufstand Anfang 2016, der vor allem rund um die Hauptstadt Juba tobte, und blutig  niedergeschlagen wurde – UNO-Blauhelmsoldaten vor Ort spielten dabei eine eher unrühmliche Rolle – lebten die zersplitterten Rebellengruppen vielfach im Busch versteckt, Einzelne auch „im Geheimen“ im Kreise ihrer Familienclans und verstreuten Dörfer. Nachts gingen sie jedoch auf Raubzüge in die Umgebung und versorgten sich mit Viehdiebstahl und Wilderei. Und immer wieder kam es vor allem im Norden des Landes zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffen mit und durch Regierungstruppen. Vor der Jahreswende 2017 kündigten die Rebellen dann einen erneuten Aufstand gegen die Regierungstreuen an. „Wir warten nur, bis die Frauen und Kinder aus dem Weg sind“, hieß es unter der Hand, in Anspielung auf die 2-monatigen Schulferien. Im Februar dieses Jahres stiegen dann die Gewalttaten tatsächlich wieder sprunghaft an. Die Hauptrouten nach Juba wurden wieder an ständig wechselnden Standorten durch Straßensperren unterbrochen, ein paar kleinere Städte belagert, etliche Staatsvertreter und Beamte „beseitigt“. Auch UNO-Helfer gerieten zwischen die Fronten und wurden erbarmungslos ermordet.

Daraufhin folgte die Gegenoffensive der Regierungstruppen und Dinka, die jetzt, Mitte April, ihren neuen Höhepunkt erreicht hat. Dörfer und Siedlungen werden systematisch nach Waffen und Rebellen durchsucht. Wobei Plünderungen bishin zum Mord an Angehörigen anderer ethnischer Gruppen quasi zum „Tagesgeschäft“ der Soldaten gehören. Kein Wunder, die Meisten haben schon seit einem Jahr keinen Sold mehr bekommen und müssen zur Eigenversorgung auf die gleichen Ressourcen zugreifen, wie die Rebellen: Auf die Tiere, Feldfrüchte und knappen Vorräte der Zivilbevölkerung. Für die an Politik völlig uninteressierten und mit dem täglichen Überlebenskampf um Wasser und ausreichende Nahrung beschäftigten Menschen, die im endlos weiten Hinterland der wenigen Städte in zum Teil noch steinzeitlichen Lebensumständen eine karge Existenz aufzubauen versuchen, gibt es somit kaum mehr einen Unterschied zwischen „gut und böse“, zwischen Soldaten und Rebellen. Die Furcht vor blindwütiger Willkür bewaffneter Aggressoren wird zum ständigen Begleiter. Zehntausende fielen der Gewalt bisher zum Opfer, genaue Zahlen existieren nicht. Und ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht absehbar.

Millionen Menschen ohne Vergangenheit und Zukunft

In den jahrzehntelangen Kriegswirren sind viele ürsprünglich in der Region beheimatete Menschen oft schon in zweiter Generation in Flüchtlingslagern oder in der Wildnis aufgewachsen – ohne jegliche Schulbildung. Und da Familien auseinandergerissen wurden, ist sogar das traditionelle und kulturelle Wissen früherer Generatonen verschwunden. Als der Südsudan – übrigens unter tatkräftiger Mithilfe von Österreich – zu einer eigenständigen Nation erklärt wurde, kehrten viele in ihre Heimat zurück und versuchten sie – auch ohne knowhow aber hoffnungsfroh – wieder aufzubauen.

Hilfe gab es von Anfang an kaum dabei. Weder von der eigenen Regierung, deren Tätigkeit sich in internen Machtkämpfen erschöpft, noch von der Weltgemeinschaft. Bloß ein paar multinationale Konzerne sicherten sich Rechte an Bodenschätzen und schufen ein paar Arbeitsplätze. Schulen und die Universität in Juba erhielen auch ein wenig Support. Doch außerhalb der Hauptstadt kann man sogar die tätigen Hilfsorganisationen an einer Hand abzählen, zumeist sind es kirchliche Organisationen, die sich um medizinische und Bildungseinrichtungen bemühen. Weiße sind in weiten Teilen des Landes überhaupt noch vielbestaunte Raritäten.

Die anfänglich erzielten Erfolge, eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen, werden mit dem eskalierenden Bürgerkrieg jedoch wieder dem rostbraunen Erdboden gleichgemacht. Lehrer, Ärzte, Beamte und selbst Diplomaten bekamen seit Monaten keine Gehälter mehr. Etliche Schulen, medizinische und soziale Einrichtungen gaben ihren Betrieb inzwischen gänzlich auf. Sogar die Landwirtschaft und damit die Versorgung mit Lebensmitteln ist inzwischen größtenteils zusammengebrochen, da man einerseits durch den Klimawandel ausgelöste Dürren (bzw. andernorts schwere Überschwemmungen) mit keinerlei Gegenmaßnahmen entgegen treten kann und andererseits viele Landarbeiter einfach nicht mehr zur Arbeit kamen – oder überhaupt schon aus dem Land geflüchtet sind.

Bis zu 5,5 Millionen Südsudanesen, praktisch jeder Zweite, sind von Lebensmittelknappheit bedroht, 100.000 Menschen drohen akut zu verhungern oder sind es bereits, eine weitere Million stehen am Rand der Hungersnot, warnten UNOErnährungs- und -Landwirtschaftsorganisation (FAO), das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) und das UNO-Welternährungsprogramm (WFP). Besonders betroffen sind natürlich Kinder: Mehr als eine Million sind akut, über eine Viertelmillion bereits schwer unterernährt.

Flucht als einzige Lösung – in das größte Auffanglager der Welt

Fast jeder Dritte ist inzwischen geflohen – seit 2013 sind rund 3,5 Millionen Südsudanesen auf der Flucht. 60 Prozent der Flüchtenden, die in den Nachbarländern ankommen, sind oftmals unterernährte Kinder. Uganda, der südliche Nachbarstaat, hat bisher rund die Hälfte aller Menschen aufgenommen und Mithilfe der UNHCR und NGOs in Flüchtlingscamps untergebracht. Doch bei einem Andrang von rund 3000 Menschen täglich, der sich in den letzten Tagen durch vermehrte Angriffe von Regierungstruppen auf die Zivilbevölkerung noch verdoppelte, reichen auch die Mittel des World Food Programme bei weitem nicht mehr aus.

Über 736 Millionen Euro wurden von der UNO veranschlagt, um rund 1,6 Millionen Flüchtende aus dem Südsudan zu versorgen – diese sind bislang erst zu acht Prozent ausfinanziert. Die Essensrationen, von allem Anderen ganz zu schweigen, mussten inzwischen um 75 Prozent gekürzt werden. In vorstellbaren Bildern: Jeder bekommt pro Tag nicht mehr als einen Teller Eintopf oder zwei Handvoll Mais zu Essen.

Auch in Bidi-Bidi, dem inzwischen weltweit größten Flüchtlingslager in Uganda, rund 80km nach der südsudanesischen Grenze, sind UNHCR und NGOs wie das Rote Kreuz mit dem Auftreiben und Verteilen von Nahrung und Wasser sowie der Errichtung von Unterkünften und Basics der medizinischen Versorgung ebenso überbeschäftigt wie unterfinanziert. Seit Juni 2016 entstanden hier im Bezirk Yumbe fünf Zeltstädte in Rekordzeit auf einer Fläche von über 45 km2, die derzeit 274.000 Menschen beherbergen. Über 85 Prozent sind Frauen und Kinder, 65 Prozent sind jünger als 18, darunter tausende unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder. Jeder registrierte und anerkannte Flüchtende – eine Amtshandlung, die hier übrigens binnen drei Tagen erledigt ist – sollte nach Möglichkeit ein Zelt, eine Decke und eine kleine Parzelle bekommen, auf der er selbst etwas anpflanzen kann.

Wasser wird per LKWs angeliefert und in Türme gepumpt, bei denen sich dann – ebenso wie bei der Essensausgabe – lange Menschenschlangen bilden, um einen oder zwei Kanister abzuschöpfen, mit denen Durst, Kochen, sanitäre Bedürfnisse und Wäschewaschen abgedeckt werden muss. Auch vor den großen Zelten, in denen Ärzteteams und Berater untergebracht sind, und wo lagerinterne Jobs ausgeschrieben werden, herrscht stets reger Andrang. Doch trotz dieser für uns unvorstellbaren Lebensbedingungen sind viele Menschen froh, hier zu sein, ihre Kinder vielleicht wieder zur Schule schicken zu können und in absehbarer Zeit eine Einbürgerung in Uganda und vielleicht sogar ein Stück Land zu erhalten, wie es versprochen wurde.

Ruf nach internationaler humanitärer Hilfe

Doch Uganda hat selbst mit Entwicklungsproblemen zu kämpfen und erreicht nun langsam die Grenzen der Belastbarkeit. Ohne ausreichende internationale Unterstützung könne nicht auf diesem Weg weitergemacht werden, wurde bereits aus Regierungskreisen verlautbart. Wie die lange übersehene und inzwischen ausufernde Akut-Krise in Afrika ausgehen wird, liegt also in den Händen der Weltgemeinschaft. Die am 12. April, einberufene außerordentliche Geberkonferenz-Sitzung in Berlin, “The Berlin Humanitarian Call – jointly against famine” auf Einladung des deutschen Außenministers Sigmar Gabriels und unter Beteiligung von UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi wird zeigen, ob sich Europa selbst den Nährboden für neue Flüchtlingswellen schafft oder sich endlich seiner Verantwortung bewusst wird.

Anfang April gab man sich beim Treffen in Brüssel noch ziemlich bedeckt: Während UNNothilfekoordinator Stephen O’Brien die Situation in Ost- und Zentralafrika als die schwerste humanitäre Krise seit dem 2. Weltkrieg bezeichnete, „Millionen Menschen wüssten nicht, wie sie an ihre nächste Mahlzeit kommen sollten, sie werden schlicht und einfach den Hungertod sterben“, und um dringende Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bat, wurde in der Nachberichterstattung vor allem darauf verwiesen, dass „humanitäre Hilfe keine Abhilfe für die strukturellen Defizite und Ursachen schaffen könne, die den anhaltenden Konflikten und der andauernden Ernährungsunsicherheit zugrunde liegen. Wenn sich die Situation nicht wiederholen soll, müssen politische Lösungen gefunden und gleichzeitig längerfristige Maßnahmen ausgeweitet werden.“

Mein persönliches Ersuchen dazu:

Mit noch so engagierten Debatten alleine ändert sich nichts. Nichts an unseren schon vorher akuten Problemen und nichts am Leid der Armen, Verhungernden, Zukunfts- und Heimatlosen. Im Gegenteil, je mehr Probleme unbehandelt bleiben, umso größer werden sie mit der Zeit. Und klopfen letztendlich lautstark an unsere eigene Haustüre.

Deshalb bitte JETZT endlich handeln – hier klicken und spenden!

Ihr Hannes Urban

 

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